Ärzte entsetzt über St. Vinzenz Schließung

von Robert Braumann


Das Sankt Vinzenz schließt zum Jahresende. Foto: Vollmer
Das Sankt Vinzenz schließt zum Jahresende. Foto: Vollmer | Foto: Vollmer

Braunschweig. Nach dem Aus der St.Vinzenz Krankenhaus in Braunschweig, hat sich eine Gemeinschaftspraxis aus Wolfsburg an die Redaktion gewandt, die lange Jahre mit der Einrichtung zusammengearbeitet hat - es gibt deutliche Kritik am Umgang mit den Mitarbeitern und dem Vorgehen.


Unter dem Titel: "Untergang einer Lungenklinik – oder: Krankenhaus der „unbarmherzigen Schwestern?". Haben Sie einen Brief verfasst, den regionalHeute.de im Folgenden ungekürzt und unkommentiert veröffentlicht.
Wir, die „Gemeinschaftspraxis für Pneumologie Wolfburg“, haben seit Antritt der Chefarztposition durch Dr. H. Langhorst 1996 viele Jahre mit den Kollegen dieses Hauses zusammengearbeitet. Wir hatten uns seinerzeit anlässlich einer Hospitation im Hannoveraner „Heidehaus“ kennengelernt, in dem wir beide als junge Fachärzte Erfahrungen sammeln durften. Nach seinem Arbeitsbeginn trafen wir uns häufiger und besprachen die Möglichkeiten des St. Vinzenz-Krankenhauses in unserer Region: Dazu ist zu bemerken, dass seinerzeit eine stationär-pneumologische Versorgung auch für Wolfsburger Patienten erst in ca. 70 km Entfernung (Hannover, Diekholzen, MHH) zu realisieren war. Wir fanden schnell heraus, dass unser gemeinsames Interesse in der wohnortnahen Versorgung der Patienten bestand und im St. Vinzenz wurden fortan Thorakoskopien und starre Bronchoskopie, im Weiteren auch Endobronchialer Ultraschall (EBUS), Schlafmedizin und nichtinvasive Beatmung eingeführt, um möglichst über alle erforderlichen diagnostisch-interventionellen und therapeutischen Möglichkeiten in einem Hause zu verfügen.

Dies alles geschah in erster Linie auf Initiative des damaligen Chefarztes und seiner beiden leitenden Oberärzte. Die Zusammenarbeit zwischen den Krankenhaus-Kollegen und unserer Praxis war ein ausgesprochen fruchtbares Feld! Mitarbeit der Oberärzte des St. Vinzenz in unserem (Wolfsburger) Tumorboard und die enge Verzahnung mit der Thoraxchirurgie im Klinikum Braunschweig waren gesetzte zuverlässige Komponenten der pneumologischen Versorgung der Region und ein Stabilitätsfaktor über mittlerweile 20 Jahre. Unverständlich blieb uns dann schon die Entlassung des erfolgreichen Chefarztes des St. Vinzenz (in 2015), der über 2 Jahrzehnte unermüdliche Aufbau-Arbeit, teilweise unter prekärer personeller ärztlicher Situation, geleistet hatte und aus der antiquierten „allgemein-internistisch orientierten Klinik“ eine über nahezu alle Instrumente einer Lungenklinik verfügende Fachklinik gemacht hatte. Aus unserer Sicht bestand zu dieser einschneidenden personellen Veränderung überhaupt keine Notwendigkeit. Ende 2015 wurde Frau Dr. U. Sommerwerck als neue Chefärztin eingestellt: Erklärtes Ziel der Geschäftsführung war damals „Leuchtturm-Funktion“ auszuüben und schließlich ein „Haus der Lunge“ zu eröffnen. Im Verlauf des letzten Jahres verschwanden die meisten uns lange bekannten fachärztlichen Kollegen aus dem Team des St. Vinzenz. Es verblieb OA Schröder-Richter als Schlafmediziner, dem wir weiter die meisten unserer Schlaf-Apnoe-Patienten zur Diagnostik und Therapie einwiesen und der als einziger eine Ermächtigungspraxis für (30!) schwerkranke erwachsene Patienten mit Cystischer Fibrose ausübt. (Wo wird diese wichtige Tätigkeit fortgeführt werden?). Im letzten Jahr gab es viele Ebenen der Zusammenarbeit zwischen Praxis und Klinik: Am „Braunschweiger Arbeitskreis Lungenkrankheiten“ (BAL) nahmen wir regelmäßig teil. Die neuen Kollegen kamen zum Tumorboard 1x monatlich in unsere Praxis und Fortbildungen wurden nicht selten gemeinsam organisiert. So beteiligten wir uns beispielsweise mit einem BAL-Seminar (Zytologie-Demo und Vortrag) an der Fortbildungsveranstaltung zur Diagnostik interstitieller Lungenerkrankungen im Januar 2016 und es nahm regelmäßig ein Facharzt unserer Praxis an allen Aktivitäten des St. Vinzenz teil.

Die personelle Umstrukturierung hat (aus unserer Sicht nicht anders zu erwarten) zu einer mehrere Monate dauernden erheblichen personellen Unruhe geführt. In den letzten Monaten 2016 hatte sich das Haus stabilisiert und Engagement und Leistungsbereitschaft der ärztlichen Mitarbeiter waren außerordentlich hoch. Nach unserer Kenntnis wurden als besondere Service-Leistung alle Pleurapunktionen und Bronchoskopien der Pneumologischen und Hämato-onkologischen Praxen Braunschweigs nach Absprache vom St. Vinzenz Krankenhaus ambulant durchgeführt. Umso heftiger traf uns die aktuelle plötzliche Entscheidung der Geschäftsführung zur sofortigen kurzfristigen Schließung des seit 83 Jahren existierenden St. Vinzenz Krankenhauses in Braunschweig.

Wir Wolfsburger Pneumologen bezweifeln sehr, dass ein kleines Krankenhaus (72 Betten und ca. 150 Mitarbeiter) in so kurzer Frist betriebswirtschaftlich überhaupt in der Lage sein kann, bei radikaler Umbesetzung aller ärztlichen Ebenen, eine leichte wirtschaftliche Schieflage auszugleichen. Es war wohl eher wahrscheinlich, dass im ersten Jahr nach solchen Strukturänderungen ein größerer wirtschaftlicher Verlust eingefahren werden würde! Etwas mehr Geduld als 12 Monate hätte man bei ehrlichem Sanierungswillen des Hauses wohl aufbringen müssen. Die Entscheidung zu einer radikalen Schließung hat jetzt eine reale Versorgungslücke auf dem Fachgebiet der stationären Pneumologie gerissen, die das Städtische Klinikum Braunschweig und die Niedergelassenen Kollegen nicht ohne Probleme werden schließen können. Wir hoffen deshalb, dass sich die Verantwortlichen im Klinikum, der Stadt Braunschweig und im Land Niedersachsen der Lösung dieses Problems intensiv und unorthodox, vielleicht sogar kurzfristig widmen werden!

Das Maß der Verletzung und Demotivierung ärztlicher Kollegen und aller anderen Beschäftigten ist wohl kaum hinnehmbar: Nachdem man noch vor wenigen Wochen in der Braunschweiger Zeitung die Eröffnung des „Hauses der Lunge“ im bis dato „Pneumologischen Niemandsland Braunschweig“ (Prof. Dr. Welte, MHH) zelebrierte, wirft man jetzt alles Personal und auch die hochmotivierten Kollegen mit Frau Dr. U. Sommerwerck an der Spitze, noch vor Weihnachten auf die Straße. Noch einmal: Wir hatten bis gerade eben eine angemessene und gut funktionierende Pneumologische Krankenhaus-Versorgung in Braunschweig, gerade durch das über 2 Jahrzehnten gut funktionierende St. Vinzenz Krankenhaus. Das „Pneumologische Niemandsland Braunschweig“ wird ab Weihnachten 2016 Realität, denn dann ist endgültig der letzte Patient entlassen! Welches strategisch-politische Kalkül der Kongregation der Barmherzigen Schwestern steckt wohl hinter all den Veränderungen: Abberufung, Austausch, „Haus der Lunge“, „Aus der Lunge“ innerhalb von weniger als einem Jahr? Wir sollten darauf achten, dass die 60 beim Land beantragten Pneumologie-Betten nicht plötzlich wunderbarerweise im Hildesheimer St. Bernward-Krankenhaus auftauchen. In dieser Stadt besteht dank der Vinzentinerinnen bereits jetzt eine massive Überversorgung hinsichtlich pneumologischer Betten (je 2 Pneumologische und Thoraxchirurgische Krankenhausabteilungen, 2 PET-CT, 2 Strahlentherapien, für 100.000 Einwohner)! Wir wünschen allen Verantwortlichen für diesen unverständlichen sozialen und medizinischen Kahlschlag, vor allem aber der Kongregation der barmherzigen Schwestern ein gesegnetes Weihnachtsfest.

Dres. med. U. Steffen, A. Korsch, O. Tomsing


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