Orgelbauer bei der Arbeit: Den ganzen Tag nur mit Pfeifen zu tun

von Christina Balder




Braunschweig. Beim nächsten Gottesdienst in der Matthäuskirche wird die Gemeinde es merken. Auch wer kein besonders musikalisches Ohr hat, dürfte feststellen, dass etwas anders ist. Denn dafür hat Rüdiger Baier eine Woche lang gearbeitet. Der Orgelbauer hat unter anderem Pfeifen erneuert, die nicht mehr stimmbar waren, hat die Register ein wenig leichter bedienbar gemacht und zwei geändert, und hat am Ende das Instrument gestimmt.



Lange, fiepende Töne hallen in dieser Woche durch die Matthäuskirche. Tiefe, dunkle auch, aber die schrillen nicht so im Kopf. Jugendpfarrer Lars Dedekind beeilt sich, Stühle aus der Kirche ins Auto zu räumen - angenehm ist ihm das nicht. Und auch Rüdiger Baier ist nach so einem Arbeitstag gesättigt mit Geräusch. Das Autoradio bleibt auf der Heimfahrt jedenfalls aus.

Den Beruf hat sich Baier nicht wegen der schrillen Töne ausgesucht. "Ich habe etwas mit Handwerk, Musik und ein bisschen was Kreatives gesucht", erzählt er. Nach einer Unterhaltung mit einem Orgelbauer fand er dann, das sei der richtige Beruf für ihn: Er hat die Finger an Holz, Metall, Leder und Kunststoff und kommt um die Musik gar nicht herum. Mittlerweile arbeitet er seit rund 20 Jahren vor allem in den Kirchen der Braunschweigischen Landeskirche und der Landeskirche Hannovers, wartet, stimmt, repariert Orgeln aus allen Jahrzehnten und Jahrhunderten.



In der Matthäuskirche steht ein Exemplar, das typisch ist für seine Zeit. Die Walcker-Orgel ist in den 1960er Jahren gebaut worden - "da wurden überall neue Orgeln angeschafft", erzählt er. Es war wieder Geld in den Kassen nach dem Krieg und vieles davon wurde in die Reparatur und Neuausstattung von Kirchen gesteckt. Die Akustik der Orgel, sagt Baier, sei "schon sehr toll", aber das Gehäuse und die Technik lassen ihn den Kopf schütteln. "Das Gehäuse ist, positiv ausgedrückt, sehr schlicht, und die Mechanik ist sehr gewöhnungsbedürftig." Der Organist sollte jedenfalls nicht schwächlich sein - die Register zu ziehen, erfordert einiges an Kraft und auch sonst sei die Orgel nicht gerade leicht zu bespielen. "Es gibt schlechtere Orgeln", versucht Baier zu versöhnen: Die Gemeinde hört ja nur den schönen Klang und merkt ihm nicht an, wie der Musiker dort oben arbeitet -  "und welchen Spaß der Orgelbauer damit hat", sagt Baier und grinst.

Die älteste Orgel, die Baier bisher unter seinen Fingern hatte, stammt aus dem 17. Jahrhundert. Bei so alten Exemplaren erschwert der Denkmalschutz ihm die Arbeit. "Es ist, als würde man ein Windei auf einem Tablett einhändig über Kopfsteinpflaster befördern wollen", beschreibt er die Arbeit. Das jahrhundertealte Material muss laut Denkmalschutz so weit wie möglich erhalten werden, aber auch der Klang soll schön bleiben. So kommt es, dass in Stücke der alten Pfeifen neues Metall eingelötet ist - auch wenn ein Austausch der ganzen Pfeife deutlich einfacher gewesen wäre.

Dass Rüdiger Baier seinen Beruf auch nach 20 Jahren noch spannend findet, merkt man ihm an. Er kann viel erzählen über die Instrumente, deren Vorläufer schon um 5000 vor Christus entstanden sind. Nachdem die alten Römer noch mit Wasserorgeln Radau gemacht hatten, sei das Prinzip um die Zeitenwende verschwunden und erst im 14. Jahrhundert wieder entdeckt worden.

Und  jetzt, sagt er, droht sein Beruf auszusterben. Obwohl die Orgelbauwerkstatt Christoph Grefe, für die er arbeitet, ein großes Arbeitsgebiet hat, werden die Aufträge weniger. Weniger Kirchen, weniger Orgeln, weniger Geld für die Wartung und Reparatur machen dem Berufsstand zu schaffen. Und Arbeiten, die nicht unter den Augen (und Ohren) der Gemeinde verrichtet werden, sind nun einmal nicht so präsent.  Aber beim nächsten Gottesdienst, da werden alle merken, dass etwas anders ist.


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